Hydra
02 - Der Schlaf umhüllte Dich
…Meine Finger fanden im weichen Gras zu den deinen
ich hielt einen Augenblick lang deinen Puls
und spürte von fern das Weh deines Herzens.
Unter der Platane, am Wasser, zwischen dem Lorbeer
entrückte und streute dich der Schlaf
um mich her, zu mir hin, ich kann dich nicht fassen zur Gänze,
du bist eins mit deinem Ruhen:
ich sehe deinem Schatten zu wie er zunimmt und schwindet
sich in andere Schatten verliert, in die andere
Welt die dich losließ und festhielt…
Gib uns, auch diesseits des Schlafs, den Frieden.
Text: Giorgos Seferis
01 - Dein Blut gefrohr manchmal
Dein Blut gefror manchmal wie der Mond
in der unausschöpflichen Nacht breitete dein Blut
seine weißen Flügel aus über
die schwarzen Felsen, die Schatten von Bäumen und Häusern
mit einem schwachen Schein aus unserer Kinderzeit
Text: Giorgos Seferis
04 - HYDRA
Das Meer das zu Zeiten deiner Seele so bitter geschmeckt
trug jetzt die vielfarbenen und glänzenden Schiffe
bog sich und wiegte sie und war ein einziges weißgefiedertes Blau,
hatte zu Zeiten deiner Seele so bitter geschmeckt
lag jetzt farbensatt an der Sonne.
Weiße Segel und Licht und die tropfenden Ruder
schlagen im Takt einer Trommel die besänftigte Welle.
Wären schön, deine Augen, sähen zu
wären hell, deine Hände, streckten sich aus
wären wie schon einmal lebhaft, deine zwei Lippen
angesichts so großen Wunders:
das hast du gesucht
Weiße Segel und Licht und die tropfenden Ruder
schlagen im Takt einer Trommel die besänftigte Welle.
was hast du gesucht in der Asche
im Regen im Nebel im Wind
ja selbst zur Stunde noch wo schon die Lichter ermatteten
wo die Stadt versank und auf den Fliesen der Armut
der Nazarener dich sein Herz sehen ließ,
was hast du gesucht? Warum kommst du jetzt nicht? Was hast du gesucht?
Text: Giorgos Seferis
03 - Hier enden die Werke
Hier enden die Werke des Meeres die Werke der Liebe.
Jene die einmal leben hier wo wir enden
wenn es geschieht daß Blut in ihrer Erinnerung dunkelt und überfließt
mögen sie unser gedenken, der kraftlosen Schatten unter den Asphodelen,
mögen sie dem Totenreich zu den Kopf ihres Opfertiers wenden:
Wir die wir nichts besaßen werden die lehren den Frieden
Text: Giorgos Seferis
06 - SANTORINI
Neige dich wenn du kannst über das verdunkelte Meer und vergiss
den Flötenton über den nackten Füßen
die deinen Schlaf zertraten in dem anderen, dem versunkenen Leben.
Schreib wenn du kannst auf deine letzte Scherbe
den Tag den Namen den Ort des Urteils
und wirf sie ins Meer dass die untergeht.
Wir blickten uns um und standen nackt auf dem Bimsstein
und sahen die emporsteigenden Inseln
und sahen wie die roten Inseln versanken
in ihren Schlaf, in unserer Schlaf.
Hier standen wir nackt, in unserer Hand hing
die Waage die sich senkte nach der Seite des Unrechts.
Sehnige Ferse der Kraft schattenloser Wille wohlerwogene Liebe
an mittäglicher Sonne reifende Pläne,
Weg der Bestimmung unter dem Schlag der jungen Hand auf der Schulter,
an dem Ort der auseinanderfiel, der nicht standhielt
an dem Ort, der einmal der unsere war
versinken die Inseln in Asche und Rost.
Altäre in Trümmern
und die Freunde vergessen
Blätter der Dattelpalme im Kot.
Laß deine Hände wenn du kannst auf Fahrt gehn
hier an der Wende der Zeit mit dem Schiff
das den Horizont eben berührt hat.
Als der Würfel auf der Steinfliese aufschlug
als der Speer auf dem Brustpanzer aufschlug
als das Auge den Fremden erkannte
und die Liebe verdorrt war
in löchrigen Seelen:
wenn du dich umsiehst und findest
ringsum die Füße abgemäht
ringsum die Hände tot
ringsum die Augen verdunkelt:
wenn dir versagt wird zu suchen
den Tod den du dir auserwählt hast,
und du erkennst den Schrei des Wolfs
als dein Teil:
dann laß deine Hände wenn du kannst auf Fahrt gehn und versink,
es sinkt nur wer die schweren Steine trägt.
Text: Giorgos Seferis
05 - SÜDwind I
Das Meer grenzt im Westen an ein Gebirge.
Von links weht der Südwind und macht uns irr,
dieser Wind, der uns das Fleisch von den Knochen löst.
Unser Haus steht unter den Föhren und Johannisbrotbäumen.
Die Fenster groß. Die Tische groß
Genug um dir zu schreiben, was wir dir schreiben
So lange Monate schon und dann hinabwerfen
In unsere Trennung um sie zu füllen.
Jeder von uns hat dir dasselbe geschrieben
Und verschwiegen hat es jeder vor dem anderen
Und dabei hat jeder für sich die selbe Welt gesehen
Das Licht und den Schatten vom Gebirge
Und dich.
Text: Giorgos Seferis
07 - SÜDwind ΙΙ
Morgenstern, wenn du die Augen senktest
Waren unsere Stunden süßer als Öl
Auf der Wunde, fröhlicher als kaltes Wasser
In der Kehle, sanfter als die Daunen des Schwans.
Du hieltest unser Leben im Inneren der Hand.
Wenn nach dem bitteren Brot der Fremde
Wir des Nachts haltmachen vor der weißen Wand
Dringt deine Stimme zu uns wie die Hoffnung auf Feuer
Und dann schleift wieder der Wind
Auf unserem Mark eine Klinge.
Text: Giorgos Seferis
08 - Unser Land ist verschlossen
Unser Land ist verschlossen, nichts als Berge
auf denen Tag und Nacht die niedrige Decke des Himmels liegt.
Wir haben keine Flüsse wir haben keinen Brunnen wir haben keine Quellen,
einzig ein paar Zisternen, leer auch sie, in denen es widerhallt und zu denen wir beten.
Ein abgestandener Widerhall, hohl, er gleicht unserer Einsamkeit
gleicht unserer Liebe, gleicht unseren Leibern.
Es scheint uns seltsam dass wir einst bauen konnten
unsre Häuser unsre Hütten und Pferche.
Und unsere Hochzeiten, die frischen Kränze und verschlungenen Finger
werden unserer Seele zu unauflöslichen Rätseln.
Wie kamen unsere Kinder zustand? wie wuchsen sie groß?
Unser Land ist verschlossen. Die zwei schwarzen Symplegaden
schließen es zu. Wenn wir am Sonntag
zu den Häfen hinabgehn um Luft zu holen
sehen wir im Abendrot leuchten
Holzstücke in Splittern von einer Fahrt die sie nicht vollendeten
Leiber die keine Weise mehr wissen zu lieben.
Text: Giorgos Seferis
09 - Flucht
Unsere Liebe war nicht anders
Sie ging, kam zurück und brachte uns
ein gesenktes Augenlid
Ein sehr langes
Ein versteinertes Lächeln
Verloren im morgendlichen Gras
Eine seltsame Muschel
Die unsere Seele versuchte, zu verstehen.
Unsere Liebe war nicht anders
Sie ertastete langsam die Dinge
Die uns umgaben
Um zu ergründen
Warum wir nicht mit solcher Leidenschaft sterben wollen.
Auch wenn wir uns an den Hüften hielten
Auch wenn wenn wir uns mit all unserer Kraft an andere Hälse klammern.
Auch wenn wir unseren Atem vermischten
mit dem Atem dieses Menschen
Auch wenn wir unsere Augen schließen.
Sie war nicht anders,
nur diese Sehnsucht
Um auf der Flucht zu bleiben,
auf der Flucht, auf der Flucht.
Text: Giorgos Seferis
10 - Die Stimme aus dem Radio
Segel in denen der Wind gespielt
ist alles was der Sinn von dem Tag behielt
Föhrengeruch und Stille Stunde
heilen eilends mir die Wunde
von dem Matrosen der dann entwichen war
von der Bachstelz dem Kaulkopf und dem Star.
Frau die du so kalt gelebt
hör wie man den Wind begräbt.
Leer ist jetzt der goldene Humpen
die Sonne hängt nur noch als Lumpen
am Hals von einer der die Jugend zerrann
die hustet und nicht ans Ende kommen kann:
Die sich grämt denn ihr Sommer muß enden
mit dem Gold in den Schultern und den Lenden.
Frau die du verlorst das Licht
hör das Lied das der blinde spricht.
Es ist dunkel geworden schließe das Tor:
Mach eine Flöte aus dem gestrigen Rohr
und öffne nicht mehr wer es auch sei,
es hat nichts zu sagen es ist nur Geschrei.
Nimm Zyklamen und Föhrennadeln vom Strand
vom Meer Anemonen und Lilien vom Sand:
Frau jetzt bist du nicht mehr klug
hör vom Wasser den Leichenzug…
Text: Giorgos Seferis
11 - Das licht
Wie die Jahre verstreichen
vermehren sich auch die Richter die dich verurteilen:
wie die Jahre verstreichen
und du mit wenigeren Stimmen dich unterhältst,
siehst du die Sonne mit anderen Augen;
weißt dass was übrigblieb dich betrogen hat,
das Lallen des Fleisches, der schöne Tanz
der in der Nacktheit endet.
Wenn du nachts in die einsamen Hauptstraße einbiegst
und plötzlich siehst wie die Augen eines Tieres glasig werden
und schon woanders sind, dann wirst du der eigenen Augen gewahr:
Du blickst in die Sonne, danach bist du im dunkel verloren;
der dorische Chiton
den deine Finger berührten und er schwankte wie die Berge
ist ein Marmorbild im Licht, doch sein Kopf ist im Dunkel.
Und jene, die ihre Ringmatte verließen und zum Bogen griffen
um den zu treffen der sich zum Marathonlauf gestellt hat
und der dann die Rennbahn fortsegeln sah wie auf Blut
und die Welt leerwerden wie den Mond
und die siegbringenden Gärten verwelken:
Du siehst sie in der Sonne stehn und hinter der Sonne.
Und die Knaben die kopfüber ins Wasser springen vom Bugspriet aus
sie sinken hinunter wie Spindeln die sich weiterdrehn
nackte Körper die eintauchen ins schwarze Licht
mit einer Münze zwischen den Zähnen, schwimmen noch immerzu,
während die Sonne mit goldenem Nadelstich
sinken noch immerzu schräg hinab
zu den Steinen der Tiefe
weiße Ölkrüge.
Von Engeln und schwarz, Licht,
Gelächter der Wellen auf den Straßen des Meeres,
tränennasses Gelächter,
Dich sieht der um Schutz flehende alte Mann
der sich aufmacht über die unsichtbaren Trittsteine zu schreiten
aus dem gezeugt sind Eteokles und Polyneikes.
Der bittre Geschmack nach der Frau die dem gefesselten das Leben vergiftet
steigt auf von der Woge dem frischen tropfengeschmückten Zweig.
Sing kleine Antigone, sing, sing doch…
ich spreche nicht von der Vergangenheit, ich spreche von Liebe:
Bekränze Dein Haar mit den Dornen der Sonne,
du Düstere:
Das Herz des Skorpions ist hinter dem Meer versunken,
der Gewaltherrscher im Menschen hat sich davongemacht,
und alle Jungfrauen des Meeres, Nereϊden, Gräen
eilen dem Glanz der Schaumgeborenen entgegen:
Wer niemals geliebt hat wird lieben
im Licht:
Und bist
in einem weiten Haus mit vielen geöffneten Fenstern
weißt nicht zu welchem hinausschaun, läufst von Zimmer zu Zimmer,
denn es vergehen die Föhren und die wiedergespiegelten Berge
und das Gezwitscher der Vögel
es leert sich das Meer, ein gesprungenes Glas, von Norden und Süden
es leeren sich deine Augen von dem Licht des Tages
und plötzlich schweigen die Zikaden allsamt.
Text: Giorgos Seferis
12 - Der Garten mit dem Springbrunnen
Der Garen mit den Springbrunnen im Regen –
Du wirst ihn nur noch sehen von dem niedrigen Fenster aus
Hinter der trüben Scheibe.
Dein Zimmer wird hell sein nur noch von dem Feuer im Herd
Und ab und zu wird das Wetterleuchten dir zeigen
Die Furchen auf deiner Stirn, mein alter Freund.
Der Garen mit den Springbrunnen, die in deiner Hand waren
Der Pulsschlag eines anderen, äußeren Lebens, das vor den Zerbrochenen
Marmorbildern und tragischen Säulen liegt
Und ein Reigen unter dem Oleander
Neben den neuen Steinbrüchen,
ein mattes Glas wird ihn abschneiden von deinen Stunden.
Du wirst nicht mehr atmen; Erde und Saft der Bäume
Werden hervorstürmen aus deinem Andenken um einzuschlagen
Auf diese Scheibe auf die jetzt der Regen schlägt
Der äußeren Welt.
Text: Giorgos Seferis
13 - Mich reut der breite Fluss
Mich reut der breite Fluss den ich durch meine Finger rinnen ließ
ohne einen einzigen Tropfen zu trinken.
Jetzt versinke ich im Gestein.
Eine kleine Föhre in der roten Erde,
weiter kein Weggenoss.
Was ich liebte ist dahin mit den Häusern
die im letzten Sommer noch neu waren
und dann einstürzten im Herbstwind.
Text: Giorgos Seferis
Zotos sings Theodorakis
01 - Geliebte STadt - OMORFI POLI
Schöne Stadt, melodiöse Stimmen
niemals endende Straßen, erhaschte Blicke
Die Sonne färbt sich abendgolden, Saatfelder bewegter Hände
Berge und halbfertige Häuser, weit hingestreckte Meere.
Ich werd dich erobert haben, bevor es Nacht geworden ist.
Noch bevor die bleichen Lichter all ihre Netze auswerfen
werd ich dich erobert haben
Die Nacht war heran, die Fenster wurden geschlossen.
Es senkte die Nacht sich hernieder, und die Straßen
– verschwunden.
aus *Lipotachtes* (Die Deserteure)
Text: Jannis Theodorakis
02 - Wege, auf denen verloren ich ging - Dromoi pou chathika
Wege, auf denen verloren ich ging
Ecken, an denen ich stehenblieb
Tränen, die ich für echte hielt
Spiele des Wassers.
Ein dunkler Abend zieht herauf.
Nächte, in denen ich geweint
Brücken, die ich niedergebrannt
Sterne, die ich geliebt
wohin geh ich und was steht mir bevor.
Ein dunkler Abend zieht herauf.
Gesagtes, das ich vergaß
Freunde, die ich verlor
Schmerz, du, mein großer Schmerz
so lass uns also gehn, zu zweit
Ein dunkler Abend zieht herauf.
aus *Ta Lyrika*, Text: Tassos Livaditis
03 - Der Hof - I Avli
Wie ein heis'rer Laut im Terrassenhof klingt der Peitschenhieb
Sie holen dich und bringen dich dorthin
Dich der Kirchen und der Inseln ohne Salzduft
zu erinnern fehlt im Leben dir der Sinn
Verschlossen und sehr niedrig ist der Raum
Mag sein, sie wuschen Leintuch hier vor Jahr'n
Doch du, du kleines Licht, entflammte Seele
Vergiftet hast die Luft du dieser Zeit
Als du grad mit einem Nagel, einer Scherbe
Die Adern dir durchtrennt hast, wie mir scheint
Und zur Muttergottes sprech ich und zu meinem Richter
Ich wäge ab die Sehnsucht und die Zeit
Doch sag, der dich gefoltert, hat er Augen
Hat einen Mund er, einen Hals, aus dem es schreit
aus *Tragoudia tou Agona*, Text: Manos Eleftheriou
04 - Mach das Fenster zu - Kleis to Parathiro
Red heut nicht von Poesie
und davon nicht, dass dir der Folterschmerz die Nieren fast zerreißt
der nebenan, er kann die Klopfzeichen nicht hörn
bei diesem Regen ... da dringt auch zu mir keine Nachricht durch
Mach das Fenster zu, sonst kommt Wasser rein
Nach Jod riechts auf dem Korridor
und den da hinten ... wieder herauf ... schleppen mussten sie ihn
den haben sie im Keller gehabt, den ganzen Abend lang
Es wird wohl Strom geflossen sein durchs Kabel
das an den Mund getippt hat, den er doch nicht aufgemacht.
aus *Tragoudia top Agona* (Lieder des Kampfes), Text: Manos Eleftheriou
05 - Himmelsflüsse - Epouranioi Potamoi
Himmelsflüsse
unterirdische Stromschnellen
glucksend schießen sie ins Tiefe
Straße der Träume Einheit
Silva Silva
deren Wasser blassgelb
zwei Schichten blassgelb
zwei Schichten grün
dazwischen ich - rote Zikade
Flügel Mundharmonika Spielendes
Geräusche von Wasser
Eidechsen Monde
Kopfsprünge machen sinken ertrinken
Gitter
Gitter
Gitter
aus *Sonne und Zeit*, Text: Mikis Theodorakis
06 - Im Regen - Mes sti Vrochi
Des Nachts gehn sie langsam durch den Regen
sie, die Musik spieln für Kleingeld,
schäbige Hüte haben sie auf, schmutziggraue
und in den Armen ihre Geigen, als seien's ihre Kinder, tot
Sie machen am Bahnhof manchmal Halt und schaun verloren ins Nichts,
für sie fährt kein Zug,
und weiter gehn sie, da hin, wo die Musik das Weinen hörn lässt.
aus *Ta Lyrica*, Text: Tassos Livaditis
07 - Trauernder des Regens - Mirolói tis Vrochis
Des Regens Klagelied
Sonntagabend,
da du einsam vor dich hin gehst,
keine Tür, die dich einlässt,
kein Stein, der dich Halt machen lässt,
und wohin du auch kommst, blasser junger Mann,
an der Ecke wartet wieder nur deine Sehnsucht auf dich.
Blasser junger Held,
hier in der Kneipe
sind wir gestrandet,
du mit deinem Fernweh,
lass bloß den Schmerz nicht an dich ran
im Nu ist das Leben vorbei
zwei Glas Wein, zweimal ein Seufzer
und tschüss
Blasser junger Kerl
da, wo die zwei Wege schon immer sich kreuzten
fand man dich – tot
dieser Regen – bittre Klage
dunkler Nachhall
dieses guten, blassen Jungens kurzer Lebenszeit
weggefegt vom Sonntag
wie durch einer giftigen Hexe Streich.
aus *Ta Lyrica*, Text: Tassos Livaditis
08 - Es atmen die GefängnisZellen - Ta Kelia anassenoun
Es atmen die Gefängniszellen
die Zellen oben
die Zellen unten
Der Regen eint uns
und aufzugehn, Nikos, schämt sich die Sonne
Giorgos, ich halt mich
am Stengel einer Blume.
aus *Sonne und Zeit*, Text: Mikis Theodorakis
09 - Isolation - Isolation
Der Wind gebar die Nacht und die See
und es ward das Meer und das Meer erkannte seine Tiefe.
Und die Nacht gebar die Bäume und das Moos
und es wurden der Himmel und die Vögel des Himmels und der Vollmond.
Und es ward Licht und das Licht erkannte sein Leuchten.
Der Tage zwei.
Der Wind gebar das Leid und die Musik
und es ward die Träne und die Träne gebar unsere Augen
und das Leid gebar die Jahreszeiten und die Vögel
und die Berge füllten sich mit wilden Tieren, Reptilien und Farben,
und es ward der Weg, und die Wege erkannten ihre Bestimmung.
Der Tage zwei.
Der Wind gebar den Stein und das Eisen
und es ward der Mann und der Mann erkannte seine Kraft
und der Stein gebar Schlamm und Mühe
und ward Messer und Nägel und Wolke.
Und es ward die Frau und die Frau erkannte ihre Einsamkeit
Und die Einsamkeit gebar die Sehnsucht und meine Trauer.
Der Tage vierzehn biblische Geschlechter.
aus *Arkadia II*, Text: Manos Eleftheriou
10 - Phädra - Phaedra
(Agapi mou)
Mein lichter Stern, mein hoher Mond
Du Zweig, den Frühlings Gier bewohnt
Zu dir komm ich jetzt wieder
Ich komm zu dir um einen Kuss
Den deinem Mund ich nehmen muss
Dann wirst auch du mich nehmen
Du, den ich liebe wie im Rausch
Die Nacht wird uns verschlingen
Die Sterne und das Himmelsrund
Das Mondlicht und der Kälte Schlund
Wenn ich dich lieb, dann leb ich fort im Liede
Wenn du mich liebst, wohnst in den Vögeln du
Wenn ich dich lieb, dann werden wir zu Liedern
Wenn du mich liebst, zähln wir den Vögeln zu
Es ist zu seicht des Flusses Bahn,
zu klein ist dieser Ozean,
mein Leid drin zu ertränken …
… vertreiben deine Blicke nicht,
verwässern deine Schwüre nicht
– verlassen nicht mein Denken.
Text: Jannis Theodorakis
11 - Elena - Elena
Im vierten Stock
schläft deine Mutter
Helena
Musik, göttliche – so ihre Träume
in ihren Träumen Peppino di Capri
dort hinterm Meer
Weck sie nicht
aus *Sonne und Zeit*, Text: Mikis Theodorakis
12 - Nebel bedeckt unsere Liebe - Skepase Atmos ton Erota mas
Wutschäumender Sonnenaufgang
die Axt in den Rücken gekriegt
aus den Schornsteinen stieg Rauch
und hängte sich vor unsere Fenster
Eine Glocke aus Dunst über allem
in Dunst hat sich aufgelöst
unsere Liebe
Nachts absolute Stille
an den Haken wie Schlachtvieh
unsere Hüllen
aus *Sonne und Zeit*, Text: Jannis Theodorakis
13 - Ich bin verloren - chathika
Ich verlor mich
In diesen Straßen verlor ich mich
an die ich gebunden war
für immer
gebunden an die Gassen,
gebunden an die Häfen
Ich verlor mich
denn Flügel hatt' ich keine
doch Katinio, dich hatte ich
denn Träume hatt' ich viele
und dieser Hafen, der ist klein
denn immer schon war ich allein
und immer werd allein ich sein.
aus *Lipotachtes* - Die Deserteure
Text: Jannis Theodorakis
14 - Ich öffne die Tür am Abend - Tin Porta Animo to Vradi
Ich öffne die Tür am Abend
die Lampe halte ich hoch
dass sie leuchtet den zutiefst Traurigen
dass sie herkommen, beisammen zu sein
Dass sie erwartet ein gedeckter Tisch
ein Krug, dessen Wasser die Sehnsucht stillt
und zwischen uns wird stehn
eines jeden Bruder, der Schmerz.
Dass sie einen Platz zum Ausruhen fnden
einen Hocker, auf den sich der Blinde setzt
und während wir leise dort Worte wechseln
tritt Christus in unseren Kreis
aus *Ta Lyrica*, Text: Tassos Livaditis
15 - Diese, die eines Abends kommen - Afti poiu thartoun
Diese, die eines Abends kommen
sie werden die Tränenspuren sehn
Spuren von Hieben, schwelenden Rauch
die Asche all dessen, was wir geliebt.
Und löscht man meine Stimme aus
versagt sich mir die Sehnsucht
und hab ich keine Sehnsucht mehr
versagt sich mir der Traum.
Und löscht man auch all meine Lebensjahre
Sie bleiben mir im Blut
und wird mein Blut wie Wasser dünn
so werden's die Vögel trinken.
aus Arkadia 2, Text: Manos Eleftheriou
Amour Fou
01 - Geh fort
Ach, geh nur, geh fort,
bleib mir fern – weit weg.
Und wenn mein betrübter Blick dich sucht,
dann soll er die Spur entdecken, Spur eines Traums
– längst Geschichte.
Bleib keine Sekunde länger.
Ach, in meinem Herzen
sprießt die zarteste Blume nicht mehr für dich.
Verirrst du dich, lässt du irrgehn auch mich.
Mich mehr noch als dich
– das Herz spielt verrückt.
Das verrieten mir deine erschrockenen Blicke
an jenem ersten Abend im Garten, deine Blicke
– ich erinnere mich.
Maria Polidouri
Nachdichtung Ina Kutulas
02 - Traum
Blumen ging ich für dich brechen
auf dem Berg, den ich bestieg — stieg hinauf
und in die Dornen, in ihre Dornen hab ich gefasst.
Ich preßte die Stengel und roch den Schmerz.
Dass du vorbeikämst, hab ich gewartet
in der Eismesserschärfe des Nordwinds.
Ich hielt meine Liebesgabe fest
mit der Tapferkeit einer Sehnsuchtsgeführten
die nicht zögert, durchs Feuer zu gehn.
Wieder und wieder schaut' ich in die Ferne.
Mein Herz wollte bersten
es schwamm mir der Blick.
Und hinter meiner verdunkelten Freude
sah ich nicht nahen noch dunkler die Nacht.
Wie Nebel verschwebt' ich im Ungewissen
weil ich die Blumen dir nicht gebracht.
Maria Polidouri
Nachdichtung Ina Kutulas
03 - Komm mit mir
Komm mit mir, falls du hoch hinaus willst,
auf diesen Gipfel in abgehobener Sphäre.
Doch nur, wenn du danach dich nie wieder nach hier unten sehnst.
Denn nirgends gibt's einen Weg der Rückkehr.
Für dein verbissenes Streben wirst du zahlen müssen
– nicht nur, wie man es bisher kannte, mit dem Untergang,
sondern jetzt wirst du dich verabschieden müssen
auch von der Hoffnung, die zuletzt stirbt, wie es heißt.
Alles Zauberhafte wird verblassen.
Allein mit uns bleiben wir zurück, da oben, wo die Luft sehr dünn ist.
Ein jegliches verliert sich im Nichts
und unsere Körper erschlaffen.
Nur unsere Hände, unsere Haare
streifen noch diese entsetzliche Leere,
die uns die Worte vom Mund reißt wie Wind,
diese Leere, die bald schon anmutet wie ein notwendiges Übel,
während in allem, was wir sagten, weiter atmen wird
unserer Seele Verlust.
(Und – als sei'n wir noch nicht erwachsen – wir lassen auf alles und jedes
uns ein, lassen nichts aus, so überzogen es auch ist.)
Komm mit mir, falls du hoch hinaus willst,
auf diesen Gipfel in abgehobener Sphäre.
Doch nur, wenn du danach dich nie wieder nach hier unten sehnst.
Denn nirgends gibt's einen Weg der Rückkehr.
Maria Polidouri
Nachdichtung Ina Kutulas
04 - Schlaflied
Mein Schwesterlein, was bist du blass
Schon bricht der Tag sich Bahn
doch deine Äuglein – der Schlaf
noch immer will er sie nicht schließen.
Was quält dich denn
lässt elend dich aussehn
wie eine abgeschnittene Blume?
Ich weiß, welche Begierden
du in dir erstickst, sie gefangen hältst
im Verlies deiner Brust.
Nach Blüten lechzt du
und Ammenmärchen.
Schon heute,
bevor noch die Sonne sinkt,
wird dich der Garten zu sich rufen
der Garten, den du so lange gehegt.
Und alles darin wird für mich erblühn
und mir seinen Teppich ausrolln
bei diesem Anerbieten der Blumen
Und etwas von ihrer Habe
das übereignen sie mir
wohl ihre Grazie, die kühle
wohl ihre Verschwiegenheit.
Und jede von ihnen
bewahrt ein Geheimnis
das nach und nach
sie ausplaudern wird
Und ich sag's dann dir
Hast du gehört? Ach, du bist müde
Ich dachte, du schläfst schon
aber du blinzelst ja noch.
Doch - ich bin bei dir
und sing dich in Schlummer
Ich kenn deine Qual,
die zermürbende.
Allein der Schlaf
fordert niemals *Entsinn dich!*
Mein Schwesterlein, was bist du so blass
Der Morgen dämmert ... Schlaf ein
Maria Polidouri
Nachdichtung Ina Kutulas
05 - Nein, kein Boot
Nein, kein Boot ... Ein Schiff will ich
um in deine Bucht geflogen zu kommen
die weit sich dehnt ins Land
In deinem verschwiegenen Hafen
dem beinah nicht mehr auffindbaren
will endlich ich Anker werfen
und viele Küsse dir senden
für eine lange Zeit,
du, meine handtuchschmale Stadt,
du, meine hellweiße Lust.
Und sobald ich um das Gewicht
eines ganzen Herzens mich erleichtere
soll dein Atem den Segeln meines Schiffs
die Kraft eines Flügelschlags verleihn
meinen noch schlaffen und müden Schwingen,
um wieder auf und davon zu jagen.
Die flüchtigste deiner Erinnerungen
das bin ich und auch der schnellste Abschied
all das zusammen, all das soll mir der Weg
einer durch und durch traumgewiegten
einer glücklichen Reise sein.
Maria Polidouri
Nachdichtung Ina Kutulas
06 - Ganz nah bei Dir
Ganz nah bei dir heulen die Stürme nicht brüllend.
Ganz nah bei dir ist Ruhe, ist Licht.
Die goldene Rute wippt im Reich
deiner und meiner Fantasie.
Und golden ummantelt ist jeder Gedanke.
Ganz nah bei dir gleicht einem Kichern die Stille,
einem Kichern, das aufblitzt in zärtlichen Blicken,
und wenn wir mal ein paar Worte wechseln,
schlägt mit ihren Flügeln die Freude,
die arbeitslos gewordene Freude irgendwo ganz nah bei uns.
Ganz nah bei dir schießt in die Höhe die Trauer,
sprießt wie Löwenzahn, lässt ihre Pusteblumensamen
schwerelos ins Leben vertreiben.
Ganz nah bei dir ist alles Honigduft, Samtflor,
ein Streicheln, ein Atmen, ein kühler Hauch.
Maria Polidouri
Nachdichtung Ina Kutulas
07 - Huldigung
Silbern schimmernde Stirn. Und Lichtblitze
sprühte in deinen Blicken das Blau
Kaum, da du öffnetest den Deckel des Klaviers
erzitterten zwei frische Rosen – eine jede dort in ihrem Glas
Zu beiden Seiten überzog hitziges Rot die Schläfen dir
Es kämpften deine Hände ihren Kampf und siegten
die Tasten gaben schließlich immer nach. Noten
– und als Gewinn die Melodie.
Wir lauschten. Und die Gefühle rangen ihren Freiraum ab
denen, die sie zu beherrschen suchten
Ich kann mich nicht genau erinnern, denn Jahre sind vergangen
durch die hindurch du, wie ich meine, sangst
es sei denn, Nachtigallen war'ns.
Ob stumm, ob beredt, deine Lippen – ein Quell
und Hirschböcke, erschöpfte – meine Lebensjahre.
Der Falter ... immer wird er fliegen
und eine Spur von Blütenstaub lässt auf den Fingern er zurück
Ein leises Knistern das Adieu
gleich einem Hauch von Seide deine Hand
danach verschwandest du. Und aus dem Fenster
immer wieder ... dieser Falter
hinaus ins Offne wird er fliegen.
Kostas Karyotakis
Nachdichtung Ina Kutulas
08 - AN EINEN FREUND
Ich komm eines Abends zu dir ...
Ich komm ... und find dich – allein mit einem lang gehegten Traum,
wenn ihre blassen Schatten die Dämmerung
vorbeischleift an deinem einsamen Fenster.
Du empfängst mich in deiner stillen Kammer,
umringt sind wir von Büchern, zurückgelassen in Lautlosigkeit.
Und einer sitzen wir neben dem andern, sprechen über das, was war,
alles, was schon gestorben war, bevor wir es ganz verloren ...
Doch vor dem Fenster hält inne die Nacht.
Es mischen sich Düfte und Sternenstrahlen
mit dem großherzigen Wort der Einladung, das die Natur aushaucht
und mit dem Schlag deines Herzens, das diese Stille
nicht wird beschützen können.
Maria Polidouri
Nachdichtung Ina Kutulas
09 - Ich sing nur
weil du mich dein genannt
in den Jahren, die ich subtrahier vom Jetzt
im Licht der Sonne
in des Sommers Vorahnung
bei Regen, bei Schnee
ich sing nicht
ich sing nicht
ich sing nur, weil du mich dein genannt
weil ich mich wiederfand in deinen Armen
eines Nachts und dein Mund meinen Mund geküsst
nur darum bin ich
– geöffnete Lilienknospe
und noch zittert mein Seelengott
nur weil
nur weil
ich mich wiederfand
Nur weil du mich so angeschaut
im Blick das Prüfende eines Dämons
und mein Dasein ein irdisches wurde
durch diese erdenbefingerte Krönung
nur weil
nur weil
du mich angeschaut.
Nur wegen deiner selbstlosen Liebe
überreichte der Morgen mir einen Strauß Rosen
Dass im Nu ich den Weg dir bestreu
hat die Nacht meinen Blick mit zwei Sternen versehn
ganz allein
ganz allein
wegen dieser, deiner selbstlosen Liebe wegen
Nur weil du mich wie dich selbst geliebt
lebte ich, deine Träume zu mehren
zu multiplizieren, Sternenverschwisterter
der du versankst in des Alls Teerfarbe
und so schlaf ich hinüber, seelenruhig
nur weil
nur weil
du mich erkannt, mich wiedererkannt hast in dir.
Maria Polidouri
Nachdichtung Ina Kutulas
10 - Prächtig, das alles
Prächtig, das alles
Alles schwelgt in Liebe – und die Liebesgier
sprengt den Lack ab von allem.
Hinreißend all das, während es abstirbt
so schicksalsdurchatmet
und ohne Laut.
Immerhin – mir blieb eine tröstliche Freude
In der Blütezeit meines Seins balancier ich
auf meinem Scheitel den Kranz des Verwelkens.
Immerhin – mir blieb eine tröstliche Freude
Und was sie mir einbrachte
Und was sie mir nahm
ist diese Irrsinnslust am Feiern.
Ich sterbe ja
Und werde bildschön. Bald bin ich die Liebe in Person
eine, die jeder ergattern will.
Und aufhören kann ich nicht zu sterben. In Blumen
versink ich und mehre sie noch
auf daß das Verwelken sie in seinen Strom reißt
Ich trage ein brennendes Licht
und außerdem dein Herz - lautloses Betteln
das in dieser Flamme sich maßlos verzehrt
Ich trage ein brennendes Licht, dessen Gebieterin ich
nicht bin. Lobpreise das Schicksal
es täuscht nicht.
Maria Polidouri
Nachdichtung Ina Kutulas
11 - Lächeln
Das Morgendämmern heut ein Traumbild.
Im Bann eines Zaubers versinkt das Tal.
Es regnet nicht mehr. Und das junge Mädchen
streckt sich aus, unbeschwert,
im noch feuchten Klee.
Ihre Lippen – zweimal Kirschrot, sie öffneten sich,
und wie so ihr Atem geht, in die Tiefe, in die Höhe,
hebt und senkt sich auf der Wölbung ihrer Brust
die wieder knospende Rose des April.
Strahlen durchstoßen die Wolkengespinste,
dieses Licht fängt sich in des Mädchens Augen, bald schon
geschlossen in zwei Tropfen Wasser vom Zitronenbaum,
die an den Hügeln ihrer Wangen haften
wie ein Paar verlorne Diamanten,
und du glaubtest schon, es seien Tränen, die sie weint,
indess – sie lächelt, den Blick zur Sonne gewendet.
Kostas Karyotakis
Nachdichtung Ina Kututlas
12 - Du Engelsgleicher, komm
Du Engelsgleicher, komm
wenn auch die Nacht dich aufreibt
und du vor dem Dunkel die Augen verschließt
Die Milchstraße, gebogen zum Reif
setz als Priesterin ich dir aufs Haupt
Es zeichnen Mäander auf deine Stirn
meine versöhnlichen Finger
und dieser Aufruhr, der anhebt in deinem Herzen
läßt salziges Naß und Duft verströmen
Ich werd eine Blüte nageln, direkt
ins Herzstück deines Traums
und winterdürre Blätter flechten
in dein farbenleeres Haar
Ich werd meinem bisher beherrschten Sehnen
endlich die Freiheit schenken
ein taumelnder betäubter Falter
und bald schon ist dir, als läg eine Spur
von Blütenstaub auf deinen Lippen
Du Engelsgleicher, komm, wenn auch die Nacht uns anfällt
In all ihrer Ohnmacht deine Jugend verheizt sich in zitterndem Funkeln
ich sticke ihr Muster in eine Decke, Dunkeldecke
die mit all ihrer Wollust mich zu verschlingen sucht
Maria Polidouri
Nachdichtung Ina Kutulas
13 - Abend
Kinder, die spielen in frühlingsgleicher Dämmerung
– ein Klang von weither,
es lässt die Blattlippen der Rosen ein Windhauch Worte flüstern
und inne hält er.
Offene Fenster atmen Zeit
– meine gähnend leere Kammer und
ein Zug, der kommt aus einem weit entfernten Land
und meine verlorenen Träume.
Es verklingt das Glockenläuten, und des Abends Farbe
flutet die Stadt,
sie verdunkelt die Sicht auf den Menschen,
den Spiegel des Himmels
und jetzt auch mein ganzes Leben ...
Kostas Karyotakis
Nachdichtung Ina Kutulas
14 - Liebe
Wie jäh erfrischender Tau – ihr errötendes Antlitz
und ich – trock'nes Asphodelenlaub.
Wie sehr putschte mich auf dieses jung erwachende Leben
und wie sehr mussten meine hart gewordenen Lippen lächeln.
Als versicherten mir ihre Blicke,
ich sei nicht länger der Schiffbrüchige und der Einsame nicht,
und es beugte sich dieser Zärtlichkeit Macht
... ich, dessen Seele vordem zu Stein werden ließ der Schmerz.
ich, den vordem verhärtet hatte der Schmerz
Kostas Karyotakis
Nachdichtung Ina Kutulas
Die leisen Stimmen der Erinnerung
01 - Wenn Du nicht weinen kannst
Zwei schwarze Flügel sind mein Geist
und ich fühle sie zu berühren wie ein Falke
über verdorrter Erde.
Wenn du nicht Weinen kannst
dann such nicht deine Tränen.
Und du wartest nicht mehr, dass ich dir
etwas anderes gebe.
Hast alles genommen. Und ich glaube
du hast es tief vergraben.
Wenn du nicht weinen kannst
dann such nicht deine Tränen.
Besser so. Nun brauchst du nicht mehr sehen
und dich erinnern,
an den großen Schmerz den ich säte
damals, vor vielen Jahren.
Wenn du nicht weinen kannst
dann such nicht deine Tränen.
02 - Liebeslied
All meine Gedanken sind der erblühte Zweig eines Mandelbaums
der vor deinem Fenster hängt.
Meine Stimme spricht zu dir mit tausend Farben und tausend
heimlichen Schimmern, doch du bleibst versunken
der Traum deines Lebens, erhellt
von einer Flamme Glückseeligkeit.
Sieh die in Tränen zerschmelzenden Monde
sieh die Tränen die leuchten wie Sterne
sieh die Sterne die gleich sind mit den unzähligen
Hoffnungen der Herzen, wo die Verweigerung des Lebens
ihnen die Vorherbestimmung entlarvt.
Und wach nicht auf! Du wirst hier nichts mehr erfahren,
als was du nicht schon wusstest
da selbst der Schmerz mit einem Stern auf
die nachdenkliche Stirn des Lebens zielt
verleugnet sich und wird selbst er heute zur
Freude!
(Athen, 1946)
Meine Brust weitete sich damit der kleine Jasmin Platz findet
den du mit deinen schlanken Fingern in mein Herz gesät,
in jener Nacht.
Ich sah dich nicht –
konnte dich nicht erkennen
in soviel Dunkelheit.
Deine Augen aber durchströmen
meine ganze Haut
und ich erahnte noch
die kleinen Narzissen, die
auf das blaugrüne Wasser gefallen.
(Athen, 1946)
03 - werde DIch finden
Drei auf den Kopf gestellte Monde
in einem Handteller
Zerbrochenes Schiff voller
Lerchen und Veilchen.
Ich ging an dir vorbei und du warst
der gestrige Regen.
Werde dich finden
eine gespannte Sehne in der Hand haltend.
(Athen 1946)
Kennst du die kleinen Anemonen die im April sprießen?
Möchte sie dir nebeneinander aufreihen
in hölzernem Rahmen.
Nur so kann ich dir von meinen Träumen erzählen,
die mich peitschen.
Werde dich finden
eine gespannte Sehne in der Hand haltend.
(Sonne & Zeit 1967)
Ich hab nichts mehr
außer meinen zerschlissenen Ärmel.
Ich ertrage nicht mehr die Stimme der Vögel
Ich ging an dir vorbei und du warst
der gestrige Regen.
(Athen 1946)
Werde dich finden
eine gespannte Sehne in der Hand haltend.
04 - Die zersprungene Melodie der Stille
Irgendwo in der Sackgasse
wird gezeichnet sein eine unechte Tür.
Eine Tür die sich langsam öffnet
als die Mauern sich auflösten
vor dem vollkommenen Ersticken.
Du gingst auf der benachbarten Straße
und wusstest alles. Die Nacht hat gefehlt.
Sie vergaß ihr feierliches Schwarz.
Vergaß ihr unechtes Mysterium
und ertrank in Sehnsucht.
Das Morgengrau fand sie, aber erkannte sie nicht.
Du breitest deine Hand aus
und heimlich erzittern die Möbel
ohne dass du weißt, dass Alles verrückt ist,
du weißt es nicht.
Und ich ertrinke in all den Flüssen der Nacht
(Chairetismi, 1981)
Und obwohl du noch im Licht,
durchwachte die Nacht an deiner Seite.
Und auf dir tobten
die wilden Winde
als noch die zersprungene Melodie der Stille
dich lieblich in den Schlaf sang...
(Ikaría 1947)
05 - Die Worte der Liebe
Die Worte der Liebe wie die Blätter des Frühlings
eine Sonne erschien und küsste unsere Lippen.
Fünf Burschen und ein Mädchen tanzen
und das Herz auf den Lippen.
Gleich erblühter Zweige mit einer Gabe
fünf Lieben verschmelzen und küssen das Gras.
(Eros & Thanatos, 1946)
Dieser Ozean scheint zu Erschaudern von meinem Sehnen.
Lass mich ein Boot finden um zu reisen.
Die Länder ergründen, die sich hinterm Horizont befinden,
die Gedanken, die sich hinter deinen Augen verstecken.
(Athen, 1946)
06 - Die Stillen Stimmen der Erinnerung
...
schick mir deine Hand, mein Haar zu streicheln
schick mir deine Stimme, meine Träume einzuschläfern
zeig mir dein Antlitz
damit ich meine Größe sehe meinen Adel
du meine Adlige
(Sonne & Zeit, 1967)
Wie soll ich schreien, da ich es nicht will
verloren von jedem Gedanken, von jeder Erinnerung
ich existierte nur in deine Phantasie
nur in meiner Phantasie, die nicht mehr existiert.
(Eudilos, Ikaría 1949)
zeig mir dein Antlitz
...
Und ich entsinne mich an die roten Nelken
auf dem violetten Teppich den Himmels
im tausendfachen Glanz eines Lichts
beschützt die stillen Stimmen deiner Erinnerung ...
(Eudilos, Ikaría 1949)
zeig mir dein Antlitz
...
07 - Ich und Sie
Wenn der Abend kommt
und den Tagt verjagt
will ich zu dir kommen
mit meinem Traum.
Mit gesenktem Blick
werde ich deine Hand fassen
mit geschlossenem Mund
werde ich dir sagen "ich liebe dich"!
Träume, Träume
ach nur Träume!
Mein Traum, mein Leben
verflog und es kam
die Nacht des Tags.
Schritt für Schritt zusammen
werden wir im Park gehen
und umschlungen
die Sterne schauend
mit vereinten Händen
lauschen wir still
des Lebens Ode und der Nacht
mit der gleichen, der ursprünglichen Melodie
Träume, Träume - (Tripolis, 1942)
08 - Die Stimme der Stille
Betrunken die Sonne
zerstückelt die Erde
wie ein antikes Wrack
und wieder diese Leere
mit dem Geschmack der Vollheit
Waise die Zeit
betet still eine Stimme
die Einzige
um die Stille nicht zu kränken
Antikes Wrack
wie die beschämten Sterne - verletzt
von der Leere
die Leere mit der Seele der Vollheit
trunken von der Stimme
der Stimme der Stille
(Buenos Aires, 1973)
09 - Kleine Phantasie
Kamst wie eine Brise und legtest das Paradies
auf unsere Lippen mit einem Kuss.
Dann überholtest du uns. Und wir sahen dich verzückt
schmelzen im unendlichen Licht!
Nun bleibt nichts
was an dein Vorbeikommen erinnert.
Nur unsere geküssten Lippen wurden Falken
die seufzend fliegen nach jedem Schein.
Vielleicht bist du es ja und dein Kuss.
(Athen, 1943)
das Chaos füllte sich mit Chaos
die Liebe.
(Sonne & Zeit, 1967)
10 - Verletzte Nachtigall
Eine verletzte Nachtigall
kam und fiel heute
in deinen erblühten Garten.
Dann kam die Ruhe
und deine Schritte standen bei,
der verletzten Stille.
Jetzt hältst eisig du
in deiner Hand
den toten Schmerz der Liebe.
Nun bist auch du bereit
in deine Schicksal zu fliegen,
dass das Trüb dieser Nacht hält
in einem triumphalen und zweifelhaften Wellengang
und trunken wie vom nachklingenden Schmerz
einer verletzten Nachtigall!
11 - Ein Tropfen Deine Liebe
Sobald der Himmel weint
komm ans Fenster
sobald der Blitz einschlägt
und der Tag sich neigt
Ein Tropfen deine Liebe
ein Ozean mein Herz
Alle Tropfen des Regens
sammelte ich für dich
alle Schmerzen des Lebens
pflückte ich von dir
Ein Tropfen deine Liebe
ein Ozean mein Herz.
(Sonne und Zeit, 1967)